Leben und Werk
„Emilie Mayer, Componistin“ schrieb die 39-jährige Apothekertochter aus Friedland 1850 an das Klingelschild ihrer Berliner Wohnung, nachdem ihre dritte Sinfonie im Königlichen Schauspielhaus in Berlin aufgeführt worden war. Damit begann die beispiellose Karriere der Emilie Mayer, die beim Balladenkomponisten Carl Loewe in Stettin und beim Musiktheoretiker Adolph Bernhard Marx in Berlin Komposition studiert hatte.
In Stettin, Berlin, Brüssel, Wien, Prag, Köln, München und in vielen weiteren europäischen Städten wurden ihre Sinfonien, Ouvertüren, Streichquartette und Klavierkammermusik sowie ihre Lieder aufgeführt.
Lebensdaten und Uraufführungen
14. Mai 1812 in Friedland (Mecklenburg) 10. April 1883 in Berlin
Eltern: Rathsapotheker Johann August Friedrich und Henrietta Carolina Louisa Mayer
1814 vier Tage nach der Geburt der Schwester, Henriette Caroline Louisa stirbt die Mutter
1817 Klavierunterricht bei Kantor und Organist Carl Heinrich Ernst Driver, nach kurzem Unterricht komponiert Emilie Mayer erste Tänze, Variationen, kleine Rondos
1820 besucht E. M. die Bürgerschule, später bekommt sie wahrscheinlich Privatunterricht.
1830 Cholerapandemie in Friedland, 40.000 Tote in Preußen
1831 Halbbruder Friedrich August wird Apotheker, 1835 macht er sich in Stettin als Apotheker selbstständig
1839 Bruder Carl Friedrich Eduard wird Arzt in Halle, der jüngste Bruder Alexander Friedrich Wilhelm wird ebenfalls Apotheker und übernimmt die Apotheke seines Vaters in Friedland
1839 Schwester Henriette heiratet den Arzt Dr. Bertuch aus Pasewalk
1840 am 28.8.1840 begeht der 77jährige Vater in der Rathsapotheke Selbstmord. Am gleichen Tag starb 26 Jahre zuvor seine zweite Frau. Emilie Mayer führte wahrscheinlich bis dahin den Haushalt des Vaters
1840 am Ende des Sommers geht E.M. nach Stettin und wird die Schülerin von Carl Loewe (1796-1869)
1842 E.M. wird Taufpatin beim Kind ihres jüngeren Bruders in Friedland
1843 die Zugverbindung zwischen Berlin und Stettin wird eröffnet
1847 Uraufführung der beiden ersten Sinfonien c-moll und Nr.2 e-moll durch den Instrumentalverein Stettin
1847 wechselt E.M. auf Empfehlung Loewes nach Berlin, um bei Adolf Bernhard Marx (1795-1866) und bei Wilhelm Wieprecht (1802-1872) ihre Studien fortzusetzen. Beide sind wichtige Persönlichkeiten des Musiklebens. Marx steht als Komponist und Verfasser der vierbändigen Kompositionslehre im Zentrum der musikästhetischen Debatte und Wieprecht gilt als wichtiger Militärmusikreformer und Mitentwickler neuer Blasinstrumente.
Wie schon in Stettin bei Carl Loewe, geht die Förderung der Berliner Lehrer weit über die pure theoretische Unterweisung hinaus. Sie fördern E.M. und ermöglichen die ersten sehr erfolgreichen Konzerte.
1850 Uraufführung der Sinfonie Militaire Nr. 3 C-Dur, Berlin Königlichen Schauspielhaus
1850 endgültiger Umzug nach Berlin in die Markgrafenstraße 72, im heutigen Bezirk Friedrichshain/Kreuzberg. Im Adressbuch lässt sie unter Berufsbezeichnung „Componistin“ eintragen
1850 Streichquartett F-Dur, Berlin Königliches Schauspielhaus
1851 Sinfonie h-moll, verschollen, Klaviearangement von A. Jurke, Orchesterbearbeitung von Stefan Malzew (Kassel, furore 2019)
Streichquartett G-Dur; Streichquartett e-moll
1852 Sinfonie D-Dur, Berlin Königliches Schauspielhaus verschollen.
1853 Sinfonie E-Dur, Berlin Königliches Schauspielhaus
1855 mehrere Konzerte in Leipzig, München, Brüssel
1855 Streichquartett B-Dur; Klaviertrio Es-Dur
1856 Streichquartett A-Dur, Berlin Oertlingscher Quartettverein
Klaviertrio d-moll, Wien Empfang bei Erzherzogin Sophie
Klaviertrio Es-Dur, München, Odeon Philharmonischer Verein
1856 dreimonatige Aufenthalt in Wien, begleitet von ihren Brüdern und einem Empfehlungsschreiben der Königin an Erzherzogin Sophie
1858 Streichquartett g-moll op. 14, Sommers Salon
1858 gibt der jüngere Bruder in Friedland die Apotheke auf und geht nach Stettin
1860 Klavierquartett Es-Dur
1860 in Pasewalks bestem Hotel wird ein Wohltätigkeitskonzert „zum Besten der hiesigen Armen“ organisiert. Der Schwager Dr. Bertuch ist Mitbegründer der Freimaurerloge „Zur Palme“ in Pasewalk und tritt bei diesem Konzert als Solist auf
1861 Klaviertrio e-moll op.12, Pasewalk
1862 Sinfonie f-moll, Berlin Liebigsche Kapelle
Sinfonie F-Dur, Berlin Liebigsche Kapelle, verschollen
1862 Umzug nach Stettin, sie wohnt beim jüngeren Bruder in der Reifschlägerstraße 6 (Pelikan Apotheke) heute Ulica Ksiecia Msciwoja II.
Eine zufällige Begegnung der Schriftstellerin Marie Schilling, sie war befreundet mit einer Nichte von E.M., beschreibt sie folgendermaßen: „fern vom repräsentativen Auftreten, als eine lässige Persönlichkeit, die Konventionen nicht unbedingt beachtete, sie war vergesslich, und befestigte deshalb wichtige Gegenstände an ihrer Kleidung, ob Regenschirm oder Brille. E.M. erschien bei festlichen Feiern auch mal ohne Hut – unmöglich für eine Dame – und amüsierte sich über das Entsetzen der Anwesenden."
1863 Sonate für Klavier und Violine F-Dur op.17, Berlin Englisches Haus
1864 längere Aufenthalte in Pasewalk, im Wechsel mit Stettin, E.M. hatte ein inniges Verhältnis zu ihren Geschwistern
1869 stirbt Carl Loewe nach einem weiteren Schlaganfall in Kiel, bei seiner Tochter, am 1. Juni wird in der Pfeilernische St. Jacobikirche in Stettin oberhalb der Orgel sein Herz beigesetzt
1875 erneuter Umzug nach Berlin, in die Königgrätzerstraße 20
1877 schreibt die Schriftstellerin Elisabeth Sangalli-Marr über E.M.: „…die Welt soll wissen, daß bei dieser Frau Gefühl und Verstand, Idealismus und ein berufsmäßiges Arbeitsethos eine Einheit bilden. „Sie stempelte die Musik zu ihrem Lebensberuf, indem sie dieselbe als Lebensgefährten betrachte, als das Ideal: ihres Liebens, Glaubens, Hoffens! Auf diese Weise füllte sie ihr ganzes Dasein aus.“ „Eine stille in sich gekehrte und harmlose Natur, entschieden apart geartet und künstlerisch zufrieden in sich selbst…“
1880 Ouvertüre zu Faust op. 46 Berlin/Stettin
1882 Sechs Klavierstücke für die Kinderwelt op.48
1883 verstirbt Emilie Mayer in Berlin an einer Lungenentzündung. Sie wird auf dem Dreifaltigkeitsfriehof am Hallischen Tor beerdigt. Das Grab wird erst durch die Recherche von Kyra Steckeweh wieder entdeckt
Hinweisen möchten wir auf die Bücher von
Almut Runge-Woll
Die Komponistin Emilie Mayer (1812-1883): Studien zu Leben und Werk
Europäische Hochschulschriften / European University Studies / Publications ... Musicology / Série 36: Musicologie, Band 234) Verlag Peter Lang, Lausanne
und
Barbara Beuys
Emilie Mayer: Europas größte Komponistin. Eine Spurensuche
Gebundene Ausgabe – 1. September 2021
Dittrich Verlag, Berlin